14.04.2025

Unsere erste Veranstaltung 2025: »Un tout petit numéro«

… »eine ganz kleine Nummer« – so lautet der Titel eines Kurzfilms von Luc Lavault, der im Graphic-Novel-Stil Episoden aus dem Leben und der Auschwitz-Inhaftierung Rahmil Vainbergs (1921–2018) erzählt. 1942 war Vainberg, französischer Jude mit südosteuropäischen Wurzeln, in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert worden und kam mit den Evakuierungstransporten im Januar 1945 nach Buchenwald. Er überlebte einen Fluchtversuch in Polen und die Todesmärsche in Deutschland und kam am 10. Mai 1945 zurück nach Paris.

Der Film ist ein Baustein von vielen, die versuchen, die Zeitzeug:innenschaft der Shoa künstlerisch zu verarbeiten und sie so für die kommenden Generationen zugänglich(er) zu machen. Das betonte auch SABRINA VAINBERG, die aus den Erinnerungen ihres Großvaters vortrug, die sie zusammen mit ihm dokumentiert und veröffentlicht hat und die die Grundlage für den Film bildeten.

Wir freuen uns sehr, zusammen mit unseren Partnern Gastgeber dieser bewegenden und lehrreichen Veranstaltung gewesen zu sein. Eine wunderbare Mischung aus historischer Einordnung, der Kraft der Quellen, starker künstlerischer Aufarbeitung und einer anregenden Diskussion.

Und eine klare Empfehlung, den Film und die veröffentlichten Erinnerungen in der Erinnerungsarbeit und im (deutsch-französischen) Schulunterricht einzusetzen!

Unser Dank geht an:

  • Julien Acquatella und die Ambassade de France en Allemagne
  • Benjamin Kurc und den Deutsch-Französischer Bürgerfonds
  • Claudia Kolb und die Stadt Weimar
    und natürlich:
  • Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

sowie an unsere Dolmetscherinnen.

13.03.2025

Premiere im 17. Jahr: Rendez-vous goes Geschichtsmesse

Endlich haben wir es mit dem Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte einmal zur Geschichtsmesse der Bundesstiftung Aufarbeitung geschafft. Recht passend: Unser Festival wird dieses Jahr zum 17. Mal stattfinden, und auch die Geschichtsmesse fand zum 17. Mal statt, wie gewohnt im Ringberg Hotel in Suhl, nahe dem geographischen Mittelpunkt Deutschlands.

Warum waren wir bislang nicht dabei? Auf der Geschichtsmesse trifft sich traditionell »die bunte Welt der Aufarbeitung«, wie auch der Programmteil am letzten Messetag hieß, der die vielfältige Arbeit der Stiftung vorstellte. Unser Festival bietet bekanntlich Veranstaltungen zu allen denkbaren historischen Epochen. Zeitgeschichtliche Fragen spielen dabei auch immer eine wichtige Rolle, zumal, wenn wir die historisch gewachsenen Herausforderungen unserer Gegenwart diskutieren wollen. Und auch die Diktaturerfahrungen und ihre Überwindung in Ostdeutschland und Mittel- und Osteuropa sind immer wieder Themen auf unseren Veranstaltungen. Aber sie machen eben auch immer nur einen Teil unseres Programms aus. Außerdem gab es einen ganz praktischen Grund: Die Geschichtsmesse findet immer im Februar statt – einer Zeit im Jahr, in der bei uns die Programmplanung für den November erst am Anfang steht und wir auch noch um jeden Euro unseres Festivalbudgets kämpfen müssen. Ein fertiges Produkt kann man daher noch nicht präsentieren.

Ein wunderbarer »Marktplatz der Erinnerungskultur«

Und warum nun doch? Weil genau das der Vorteil von Messen ist: Selbst wenn das Produkt noch nicht fertig ist, kann man sich tolle Ideen dafür holen, sich inspirieren lassen, hilfreiche Kontakte knüpfen, neue Leute und spannende Projekte kennenlernen…. von denen manche im November vielleicht auch in unserem Programm auftauchen. Und natürlich kann man die Modellreihe und den neusten Prototypen auf einer Messe mit so vielen geschichtsinteressierten Professionals aus ganz Deutschland auch wunderbar bewerben. Auf also nach Suhl und zurück in den Winter.
Ein umfangreiches Programm unter dem Titel »Was ist Deutschland? Einheit und Vielheit 35 Jahre nach der deutschen Vereinigung in Europa« und über 50 Aussteller und Projektpräsentationen – von denen wir jeweils einer waren, lösten unsere Erwartungen auch wunderbar ein. Die Arbeit der Bundesstiftung und der vielen Initiativen, Organisationen und Projektträger ist wirklich beachtlich und beeindruckend. So viele spannende Projekte, Aufarbeitungs- und Nachforschungsvorhaben. Und vor allem auch so viele innovative Ideen der Geschichtsvermittlung und Erinnerungsarbeit, die gerade in diesem zeitgeschichtlichen Kontext viel auf die Arbeit mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen und partizipative, kommunikative Formate setzen. All das hat uns sehr beeindruckt. Auch die vielen Gespräche, neu geknüpften Kontakte und manch alte Bekannte, die wir auch getroffen haben, gaben uns das Gefühl, hier richtig zu sein und auch wiederkommen zu wollen. Bis bald also…. in Suhl, Weimar oder irgendwo dazwischen…

Dr. Andreas Braune

21.02.2025

Podcast-, Geschichts- und Rendez-vous-Fans aufgepasst!

Das Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte als Podcast.

Mehr Rendez-vous – das ganze Jahr. Auf unserem eigenen Podcast lassen wir nun auch zwischen den Festivals mehr von uns hören: Egal ob vergangene Veranstaltungen oder Einstimmungen auf das kommende Jahresmotto: Wir wollen den Stimmen und Themen unseres Festivals mehr Dauer und mehr Verbreitung geben – und zu noch mehr Diskussionen anregen. Also: nichts verpassen und am besten gleich abonnieren.

Folge 1:

In der ersten Folge schauen wir noch mal auf unser Motto 2024 »Stadt. Beziehungsweise. Land.« zurück: Es geht um die ländlichen Räume in Ostdeutschland und welche Folgen die vielen Brüche und Transformationen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik »auf dem Dorf« bis heute haben. Ein oft übersehener Teil der Transformationsgeschichte nach 1989/​90.

Folge 2:

»Metropolen ohne Strom und Internet: Großstädte in der Antike«

Hier eine weitere Aufzeichnung unseres Festivals 2024, das unter dem Motto »Stadt. Beziehungsweise. Land.« stand. Dieses Mal geht es besonders weit zurück: In das Athen, Rom und Alexandria des Altertums. Wie funktionierten diese antike Metropolen eigentlich im Alltag? Gab es überhaupt eine Müllabfuhr? Spannende Fragen und noch spannendere Antworten liefert die 2. Folge unseres Podcasts.

Die Veranstaltung entstand in Kooperation mit dem Bereich Alte Geschichte des Historischen Seminars der Universität Leipzig. Danke an Dr. Michael Rücker für Ihre Unterstützung und Moderation und an Prof. Dr. Charlotte Schubert und Prof. Dr. Stefan Pfeiffer (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg).

Mehr demnächst, stay tuned…

18.11.2024

Das war das Festival 2024… wir sagen Danke!

Liebe Rendez-vous-Fans: Wir sagen Danke!

Wir sagen Danke für ein außerordentlich interessiertes Publikum, das an den ersten November-Tagen nach Weimar gekommen ist. Danke für die vielen Fragen und Diskussionsbeiträge. Und ein Dank gehört natürlich auch unseren rund 80 Teilnehmern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Etwas mehr als 30 Einzelveranstaltungen wurden von über 1000 Gästen besucht.

Unser Rückblick

Film- und Hollywood-Star Christian Berkel hat die 16. Ausgabe des »Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte« mit gelesenen Texten eröffnet. Zum feierlichen Start am 01. November in der Notenbank waren mehr als 100 Gäste gekommen. Unter ihnen auch Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine mit seiner Frau sowie die Thüringer Kulturstaatssekretärin Tina Beer (LINKE). In ihrer Rede sagte Beer zum diesjährigen Motto »Stadt. Beziehungsweise. Land«, dem Festival komme nahezu die Rolle eines Paartherapeuten zu. Man reflektiere eine langjährige Partnerschaft mit Höhen und Tiefen.

Ja, die Beziehungen zwischen Stadt und Land wurden auf Podien und in Gesprächsrunden immer wieder thematisiert. Sehr gut besucht war beispielsweise das Podium mit Prof. Dr. Gerd Zimmermann – ehemaliger Rektor der Bauhaus-Universität Weimar zum Thema »Neuland! Dörfer und Städte neu erfinden…«. Aus Sicht von Zimmermann kann die Digitalisierung die Kluft zwischen Stadt und Land schließen. Über seine These haben er und seine Gäste mit dem Publikum intensiv diskutiert.

In diesem Jahr durften das Rendez-vous wieder Gast in der Eckermannbuchhandlung sein. Am Samstagnachmittag ist über das Thema »Last und Lust des Landlebens« diskutiert worden. Der Literatur- und Sozialwissenschaftler Professor Dr. Werner Nell von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sprach von einer selbstbewussten Landbevölkerung. Die Dörfer seien durchmischt auch mit Menschen aus der Stadt. Handwerk und Klugheit seien zusammengefasst, so Nell. Die Juristin und Patisserie-Betreiberin Doreen Bergmann lebt seit Jahren in Stelzendorf an der Talsperre Zeulenroda. Mit ihrer Familie genießt sie in dem 70–Einwohner-Dorf das Stadtleben auf dem Land. Im Internet bestellte Waren seien einen Tag später bei ihr. Jeder helfe dem Anderen. Bergmann spricht von einem Ort, an dem Probleme besprochen und gelöst werden können: »In dieser verrückten, verwirbelten Welt muss der Mensch, damit der Geist Ruhe findet, wieder zur Natur zurückfinden.«

Danke für Ihr Kommen sagen wir ebenso zu unseren Gästen aus Frankreich. Sarah Lecarpentier verzauberte das Publikum mit ihrem Auftritt in der Notenbank. In ihren Erinnerungen an Großvater Stéphane Hessel zeigte sie uns seine poetische Seite. Nach Weimar gereist war Sarah Lecarpentier mit ihrer Mutter. Anne Hessel sprach mit Markus Meckel, ehemaliger Außenminister der frei gewählten DDR-Regierung, über fundamentale Menschenrechte.

Eine Premiere erlebte das »Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte« im Smuggler’s Irish Pub. Die Gäste konnten beim Kneipenquiz ihr Wissen zu historischen, geografischen und gesellschaftlichen Themen unter Beweis stellen. Dazu gab es Guinness, Apoldaer Bier und Apfelschorle. Unter den fast 60 Gästen in der randvoll gefüllten Kneipe waren auch Doktoranden, die an unseren Podien und einem deutsch-französischem Kolloquium teilgenommen hatten. Ihr Team, die »Kneipenkartographen«, setzen sich gegen die Weimarer durch.

Zufrieden mit dem dreitägigen Festival ist unser wissenschaftlicher Leiter Dr. Andreas Braune. Er resümiert: »Wir haben es geschafft, Menschen aus Stadt und Land in einen Dialog zu bringen. Geschichte ist eben nicht vergangen, sondern wirkt bis heute fort. Wir freuen uns, dass wir wieder so eine schöne Plattform für den Austausch zwischen Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und vielen Interessierten bieten konnten.« Besonders freue ihn auch die Resonanz bei den Besuchern, die aus dem gesamten Bundesgebiet anreisten. »Hier sind wir auf einem guten Weg, unser Festival bundesweit noch bekannter zu machen, auch dank der neuen Kooperation mit der Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte.« Denn erstmals stand die neu gegründete Bundesstiftung an der Seite unseres Festivals und begeisterte mit Ihrem »Markt der Demokratiegeschichte« und der vom Publikum gefeierten Premiere des Theaterstücks »Wir das Grundgesetz«.

Danke an unser Festivalteam!

Einen ganzen großen Dank verdient unser Team. Alle haben Hand in Hand gearbeitet. Allein am Rendez-vous-Wochenende hat jeder einzelne eine 40–Stunden-Woche abgespult. Respekt für euren Einsatz! Danke an Julia und Andreas, Susanne und Nele, Isabell und Josephin, Hendrik und Stella, Katrin, Gerd und Micha.

Und wie geht es 2025 weiter?

Sie wissen ja: Nach dem Fest ist vor dem Fest. Die Vorbereitungen für das »Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte« 2025 laufen bereits. Mit »Fremde und Heimat« wird dann wieder ein hochaktuelles Thema besprochen werden. Dazu werden wieder im November Gäste aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, Journalismus und Wirtschaft eingeladen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Es grüßen Sie herzlich
Andreas Braune, Julia Heinrich, Franka Günther & das gesamte Team

31.08.2024

Jetzt gibt's was auf die Ohren!

Sie sind bereits neugierig auf unser diesjähriges Festival? Mit dem Podcast »Geschichte Europas« begeben wir uns auf eine spannende Reise durch die Geschichte und nehmen das Thema Stadt und Land etwas genauer unter die Lupe.


Folge 1:
Dr. Andreas Braune, wissenschaftlicher Leiter unseres Festivals, sprach mit Dr. Kai-Michael Sprenger (Direktor der Bundesstiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte) und Dr. Markus Lang (Programmreferent der Bundesstiftung) über die diesjährige Kooperation und über Demokratiegeschichte in der Erinnerungskultur – in Stadt und Land.

Hier geht’s zum Podcast: https:/​/​geschichteeuropas.podigee.io/​370–370


Folge 2:
Im Gespräch mit Prof. Dr. Susanne Rau zum diesjährigen Festivalmotto »Stadt. Beziehunsweise. Land«.

Hier geht’s zum Podcast: https:/​/​geschichteeuropas.podigee.io/​387–387


Folge 3:
Im Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Zimmermann zu »Neuland?! Vom Land zur Stadt zurück zum Land«.

Hier geht’s zum Podcast: https:/​/​geschichteeuropas.podigee.io/​399–399


Vielen Dank an die Podcast-Reihe Geschichte Europas für die spannenden Einblicke!

17.07.2024

Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte 2024: Vom 01. – 03. November 2024 unter dem Motto »Stadt. Beziehungsweise. Land«

Das internationale Geschichtsfestival in Thüringen mit dem Motto »Stadt. Beziehungsweise. Land« findet vom 01. – 03. November 2024 statt. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

Städte begleiten die menschliche Geschichte seit der Entstehung komplexer Gesellschaften, und zwar in allen Kulturen um den gesamten Globus. Als Zentren von Kultur, Verwaltung und Politik prägen sie sogar das Bild, das wir von der Geschichte haben, entscheidend mit. Dabei kommen sie in aller Regel nicht ohne ihr Umland aus, das die städtische Bevölkerung mindestens bis zu den modernen Verkehrsrevolutionen mit dem Nötigsten versorgen musste, allen voran mit Lebensmitteln. Stadt und Land gehören also zusammen, werden aber oft als sehr unterschiedliche Lebenswelten wahrgenommen. Auf der einen Seite steht das naturverbundene, »einfache« Leben auf dem Land, das oftmals auch als rückständig oder besonders konservativ betrachtet wird, auf der anderen Seite die (technisch und moralisch) »moderne«, umtriebige Stadt, die aber eben auch als »Moloch« oder Sündenpfuhl erscheint. Je nach Blickwinkel und historischer Epoche unterscheiden sich die Wahrnehmungen also sehr stark. Vieles davon sind auch historische Zuschreibungen, die bis heute wirken und die es kritisch und mit wissenschaftlicher Brille zu hinterfragen gilt.

Das Weimarer Rendez-vous 2024 widmet sich der Rolle von Städten und dem Verhältnis von Stadt und Land in der Geschichte. Natürlich hat jede einzelne Stadt ihre Geschichte, die jede einzelne von ihnen auch heute noch in ihrer Architektur, den Straßennamen, Denkmälern und anderen Überbleibseln und »Narben« erzählen kann. Das ist die Geschichte einer jeden Stadt, wie sie in ihrer Chronik oder einem guten Reiseführer geschildert ist. Doch um diese einzelnen Stadt-Geschichten geht es uns im diesjährigen Festival nicht. Es sind vielmehr drei Themenkomplexe auf die wir besonders schauen möchten:

Die Stadt als Lebensform
Stadtgesellschaften sind in aller Regel komplexer als ländliche Gesellschaften. Allein der höhere Grad an Arbeitsteilung bewirkt das Nebeneinander verschiedenster Berufe und ihrer Institutionen. Auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht gibt es eine größere Bandbreite zwischen den ärmsten und den reichsten Bewohnern einer Stadt. Ethnisch, kulturell und religiös waren viele Städte in der Geschichte zwar relativ homogen. Doch gehörte in vielen Fällen und insbesondere bei Handelsstädten auch sehr früh das Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen, Sprachen, Religionen und Konfessionen zum Stadtbild. Gerade dieser Aspekt prägt bis heute das moderne Bild einer im Vergleich zum Land stärker pluralistischen Stadt, auch wenn dieses Nebeneinander unterschiedlicher Gruppen nicht immer reibungs- oder gar gewaltfrei blieb. Zugleich wird die Stadt auch als besonderer Freiheitsraum vorgestellt. Das Individuum könne sich hier in besonderer Freiheit entfalten, ist dafür aber auch im besonderen Maße auf sich gestellt. Während des Mittelalters konnten Leibeigene sogar den Status eines Freien erlangen, wenn sie mehr als ein Jahr unentdeckt in einer Stadt Unterschlupf fanden. Wie gestaltete sich also das Leben der Menschen in der Stadt in vergangenen Jahrhunderten und in verschiedenen Ländern und Kulturen? Wann war es ein Miteinander, wann ein Nebeneinander, wann ein Gegeneinander?

Die Stadt als Herrschaftsraum
Städte – und insbesondere natürlich »Hauptstädte« – waren und sind Zentren politischer Macht und ihrer Repräsentation. Schon allein in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Lebensformen der Stadt, in sozialen Schichten, ihren Vierteln und ihrer Architektur, kommen Herrschaftsverhältnisse und ihr Wandel zum Ausdruck. Politische Macht konzentriert sich auch in Städten sehr oft bei Wenigen, und sie strahlt von städtischen Zentren in das Umland aus. Zugleich überdauert aber gerade in Europa in den Städten die Idee der Republik das lange Zeitalter der Monarchien. Und mit der Republik die Idee eines freien Stadtbürgers mit politischem Mitspracherecht. Auch wenn die Bürgerrechte etwa in den Stadtstaaten der Renaissance sehr exklusiv nach Einkommen und Geschlecht blieben: Die Idee der freien Selbstregierung einer Stadt ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte der Demokratie in Europa. Demokratische Verfahren und Institutionen konnten gerade in Städten früh eingeübt und in der Moderne Stück für Stück um weitere Kreise der Stadtbevölkerung erweitert werden.
Wie verhalten sich in Geschichte und Gegenwart soziale und politische Macht in der Stadt zueinander? Wie entstand die demokratische Stadt und was macht sie heute und in Zukunft aus?

Stadt-Land-Beziehungen
Schließlich schauen wir auch auf das Mit- und Gegeneinander von Stadt und Land. Neben ihrer ökonomischen, infrastrukturellen und kulturellen Verflechtung steht wiederum der Aspekt von Herrschaft und Macht. Polizei und Rechtsprechung, Universität und Schule, Regierung und Ämter: In der Stadt »sitzen« in aller Regel die Institutionen des (modernen) Staates und üben ihren Herrschaftsanspruch auf das Umland aus. Bei ausbleibendem Erfolg dieses Anspruchs gilt das Umland als renitent, und die Mentalitäten der Landbevölkerung folgen ihrem lokalen Eigensinn, nicht dem, was die Stadt vorgibt. Spätestens in der modernen Demokratie teilen Stadt und Land jedoch das gleiche politische System und müssen mit diesen Spannungen auskommen…

Ist das Land wirklich der Ort der Hinterwäldler, die Stadt das Zentrum von Macht und Moderne? Findet man die »große Freiheit« eher in der Stadt oder auf dem Land? All diese und ähnliche Fragen werden wir in zahlreichen Podien und Vorträgen, Filmen und Führungen zur Diskussion stellen. Wir schauen auf alle denkbaren Epochen und auf unterschiedliche Städte und Kulturen. Und wir schauen darauf, was uns diese Stadt-Land-Geschichten über das Entstehen moderner Demokratien sagen können, aber auch zu ihrer Gegenwart und Zukunft. Wie können wir heute – angesichts historischer Erfahrung und Debatten – ein pluralistisches und demokratisches Miteinander gestalten – in Stadt UND Land.

Dr. Andreas Braune
Wissenschaftlicher Leiter Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte

06.12.2023

Das Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte: Ein Ort der deutschen Demokratiegeschichte?

Das vielleicht (noch) nicht. Doch immerhin sind der Förderverein des Rendez-vous und damit auch unser Festival seit Oktober 2023 Mitglied in der »AG Orte der Demokratiegeschichte« – und zwar das 101. Im Spätsommer 2023 haben wir den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt, und der SprecherInnenrat der AG hat ihn kurz vor der Durchführung des diesjährigen Festivals angenommen. Worum geht es dabei?

Die AG Orte der Demokratiegeschichte ist ein loser Zusammenschluss von mittlerweile über 100 über das ganze Bundesgebiet verteilten Akteuren, die sich der Aufarbeitung und Vermittlung der deutschen Demokratiegeschichte widmen. Mit dabei sind große Player wie die Politikergedenkstätten des Bundes oder einige der parteinahen Stiftungen, aber auch viele kleine und lokale Akteure, die sich einzelnen Ereignissen oder Personen der Demokratiegeschichte widmen. Sie alle eint die Überzeugung, dass die Geschichte der Demokratie in Deutschland eine größere Aufmerksamkeit benötigt, um unser Selbstverständnis als demokratisches Gemeinwesen zu stärken. Im Hambacher Manifest von 2017 hat die AG diese Ziele festgehalten. Die in der AG versammelten Akteure treten damit auch nicht in Konkurrenz zur notwendigen Aufarbeitung und Erinnerung an die Diktaturgeschichten des 20. Jahrhunderts in Deutschland und an den Holocaust, die als Fundament der Erinnerungskultur des wiedervereinigten Deutschland begriffen werden. Deswegen wendet sich die AG auch gegen alle rechtspopulistischen Vereinnahmungen der deutschen Demokratiegeschichte. Es kann nicht um eine »180–Grad-Wende« in der Erinnerungskultur gehen, sondern um mehr demokratisches Selbstbewusstsein, das aus einer breiten Auseinandersetzung mit dem Kampf um Demokratie und Freiheit seit mehreren Jahrhunderten erwächst.

Wir freuen uns daher sehr, nun Mitglied dieser Arbeitsgemeinschaft zu sein. Wir haben zwar keinen ‚eigenen› Ort, den wir einbringen können, doch ist das Weimarer Rendez-vous selbst an einem der geschichtsträchtigsten Orte Deutschlands beheimatet. Denn wo ließe sich ein umfassendes Geschichtsfestival wie unseres besser organisieren als in der Klassikerstadt, der Stadt der Nationalversammlung und Verfassung von 1919 und des Grauens vor den Toren der Stadt, das mit dem Namen Buchenwald verbunden ist? In Weimar wurde Deutschlands erste Demokratie aus der Taufe gehoben, in Weimar wurde sie wenig später auf schlimmste Weise zerstört. Zudem haben wir seit jeher die Geschichte der sozialistischen Diktaturen in Europa und ihre Überwindung in den Revolutionen von 1989 in unserem Programm; genauso wie die Geschichte demokratischen Engagements im Weimarer Dreieck und anderen europäischen Ländern. Wir bringen daher die unterschiedlichen Stränge der deutschen und europäischen Geschichte in Weimar zusammen und befördern mit unseren partizipativen Veranstaltungen eine demokratische und kritische Geschichtskultur.

Wir freuen uns daher sehr auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit den in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Initiativen. Mit vielen von ihnen verbindet uns schon eine teils längere, teils jüngere Partnerschaft. Je nach Jahresmotto möchten wir in Zukunft aber allen Mitgliedern der AG eine mögliche Plattform bieten, um ihre Themen und Orte auf unserem Festival zu präsentieren und einem breiten Publikum zur Diskussion zu stellen.

Danke für die Aufnahme in diese wichtige Initiative und auf eine gute Zusammenarbeit!

Mehr Informationen zur AG Orte der Demokratiegeschichte, siehe hier: https:/​/​demokratie-geschichte.de/​

23.11.2023

Impressionen 2023: Tempo, Tempo!

Vom 03. – 05.11.2023 widmeten wir uns mit dem Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte dem Thema Zeit und Zeitwahrnehmung in der Geschichte.

Insgesamt konnten wir 32 Veranstaltungen einem breitgefächerten Publikum präsentieren. Als Auftakt gastierte das Festival bereits am Vortag in zwei Thüringer Städten. In Gotha fanden zwei Podiumsdiskussionen statt – in Arnstadt konnten die Festivalbesucher es sich in den Sitzen des Arnstädter Theaters bequem machen und das multimediale Stück »Im Rausch der neuen Zeit«, passend zum Festivalmotto gewählt, ansehen.

Die Festivabesucher konnten an zahlreichen Veranstaltungsorten in Weimar insgesamt 28 weitere Podien, Vorträge, Filme und Stadtführungen besuchen, die teilweise Kooperationen mit Kultur- und Bildungseinrichtungen wie der Klassik Stiftung Weimar, der Bauhaus-Universität oder der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora waren.

Zur Eröffnung hielt Rudolf Scharping eine engagierte Rede über das europäische Zeitalter, dessen Beginn und Ende sowie zukünftige Herausforderungen für unser demokratisches Miteinander. Am Samstagabend erhielten die Festivalbesucher beim Podium »Deutschland in guter Verfassung? Demokratie unter Druck« spannende Einblicke in das Leben und Wirken von Markus Meckel, einem der Architekten des deutschen Einigungsvertrags. Er formulierte im Gespräch mit der TLZ-Chefredakteurin Gerlinde Sommer einen ermutigenden Appell zur aktiven Teilhabe am demokratischen Prozess.

Die Bilanz des diesjährigen Festivals ist positiv. Trotz der pandemiebedingten Herausforderungen in den Jahren 2020–2021 und der etwas kleineren Ausgabe im Jahr 2022, bleibt das Festival eine feste Größe in der Thüringer Kulturlandschaft und wird auch im nächsten Jahr wieder den Dialog zwischen den Bürgern und der Wissenschaft ermöglichen – 2024 dann zum Thema Stadt und Land.

Ein Überblick über alle Veranstaltungen ist nach wie vor dem Programm zu entnehmen, das dann ab April für das Jahr 2023 nur noch über das Archiv abrufbar sein wird. In unserer Galerie können Sie sich zudem einen kleinen visuellen Eindruck vom Festival verschaffen!

25.10.2023

Das Rendez-vous als Podcast und im Radio…

Das Rendez-vous als Podcast:
Eine Podcast-Einstimmung gefällig? Unser Programmleiter Dr. Andreas Braune hat mit Tobias Jakobi vom Podcast »Geschichte Europas« über das Weimarer Rendez-vous gesprochen. Hier geht’s zum Beitrag!

Im Radio mit Richard Schäfer:
Unser Programmleiter Dr. Andreas Braune hat mit Richard Schäfer von Radio F.R.E.I. im Stadtgespräch über das Festivalprogramm gesprochen. Hier kann man den Beitrag anhören!

27.09.2023

Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte 2023: Vom 03. bis 05. November in Weimar und darüber hinaus unter dem Motto Tempo! Tempo! Zeit und Zeitwahrnehmung in der Geschichte

Höher, schneller, weiter scheint seit dem Beginn der Moderne das Motto fast aller technologischen, sozialen, politischen und kulturellen Entwicklungen zu sein. Auch heute spüren wir dies überall. Sei es in der Kommunikation, in der wir jederzeit erreichbar sind oder wenn täglich eine Eilmeldung die andere aus dem Ticker drängt. Sei es in der Arbeitswelt oder beim Transport von Waren, wo jede Minute zählt und die Internetbestellung von heute am liebsten schon gestern da sein soll. Sei es in der Politik, wo das schnellste Statement den Ton einer Debatte setzt. Das mit einer solchen Verdichtung der Zeit oftmals einhergehende Gefühl der Ermüdung ist jedoch nicht neu. Immer wieder fühlten sich Menschen von der Geschwindigkeit der Geschichte überfordert, während andere sich von ihr treiben oder gar antreiben ließen.

Die Wahrnehmung, dass sich das gesellschaftliche Tempo immer weiter steigert, ist allerdings relativ neu und eng mit der Moderne verknüpft. Zuvor waren vor allem Zeitvorstellungen zentral, die stärker an den Rhythmen der Natur oder an religiösen Elementen orientiert waren. Sie standen daher auch stärker für die Stabilität einer Gesellschaftsordnung, nicht so sehr für ihre dynamische Entwicklung.

Mit solchen und weiteren Phänomenen der Zeit und Zeitwahrnehmung möchte sich das diesjährige Geschichtsfestival genauer beschäftigen. Wir widmen uns damit sozusagen dem Stoff, aus dem die Geschichte gemacht ist. Denn was ist sie anderes als erzählte Zeit? Klar wird dabei auch: Nicht nur in der Physik, sondern auch in der Geschichte ist die Zeit relativ. So klar und deutlich man sie in Jahre, Monate und Tage einteilen kann: Geschichte ist viel mehr als deren Abfolge. Mal scheinen sich die Ereignisse geradezu zu überstürzen, mal dehnt sich auch historische Zeit wie Kaugummi. Und vor allem haben alle ‚Zeitgenossen› einer Region und einer Epoche sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was Zeit ist und wie und wohin sie für sie läuft.

Von nun an läuft also der Countdown bis zum Beginn des diesjährigen Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte. Nehmen Sie sich mit uns und den geladenen Wissenschaftler*innen die Zeit, der Zeit in der Geschichte auf den Grund zu gehen.

Zurück zur Veranstaltungsübersicht!

30.04.2023

Thüringer Forschungspreis 2023 für Prof. Dr. Susanne Rau

Susanne Rau, Inhaberin der »Professur für Geschichte und Kulturen der Räume in der Neuzeit« an der Universität Erfurt und Sprecherin des wissenschaftlichen Beirats des Weimarer Rendez-vous’ mit der Geschichte, wurde am 19. April 2023 für ihre historisch-kulturwissenschaftliche Raumforschung mit dem Thüringer Forschungspreis 2023 in der Kategorie »Grundlagenforschung« ausgezeichnet. Wir gratulieren ihr ganz herzlich zu dieser Auszeichnung!

Hier können Sie mehr über die Preisvergabe erfahren!

Zudem wurde Susanne Rau im Januar zum Ritter im Orden der Palmes académiques ernannt. Dieser Orden wurde von Napoléon Bonaparte 1808 geschaffen und ist eine der höchsten Auszeichnungen Frankreichs für Verdienste um das Bildungswesen. Die Preisverleihung ist für Juli in Erfurt geplant.

13.02.2023

Ehrenbürgerwürde der Stadt Weimar am 30.01.2023 in Paris verliehen

In Kooperation mit der Stadt Weimar und der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora wurde zur Eröffnung des Weimarer Rendez-vous’ 2022 sechs ehemaligen Buchenwald-Häftlingen die Ehrenbürgerwürde Weimars verliehen. Zu dieser Veranstaltung konnte Raymond Renaud in Begleitung von seinem Sohn persönlich vor Ort sein. Um nun auch die anderen Ehrenbürger persönlich zu würdigen, reisten wir gemeinsam mit Oberbürgermeister Peter Kleine nach Paris und verliehen am 30.01.2023 gemeinsam mit der Association Française Buchenwald Dora et Kommandos Jacques Bloch, Armand Bulwa, Robert Galafrio, Jacques Moalic und Raymond Touraud im Rahmen einer feierlichen Zermonie im »Hôtel national des Invalides« die Urkunden.

Überschattet wurde die Zeremonie von der Nachricht, dass Jacques Bloch zwei Tage vor der Verleihung verstarb. Die Urkunde konnte jedoch von seiner Tochter entgegengenommen werden.

13.02.2023

Impressionen 2022: »Ein Denkmal? Na, denk mal!«

Am 30. und 31. Oktober 2022 widmeten wir uns mit dem Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte umstrittenen Denkmälern und anderen kontroversen Erinnerungsorten, und zwar nicht nur in Weimar, sondern gleich in mehreren Städten Thüringens.

Insgesamt konnten wir 23 Veranstaltungen einem breitgefächerten Publikum präsentieren. In unserer Galerie können Sie sich einen kleinen Eindruck vom Festivaljahr 2022 verschaffen!

Ein Überblick über alle Veranstaltungen ist nach wie vor dem Programm zu entnehmen, das dann ab Mai für das Jahr 2022 nur noch über das Archiv abrufbar sein wird.

02.11.2022

Rückblick auf die Eröffnungsveranstaltung 2022

»Mich nach den Jahren des Schreckens, die ich in Buchenwald erlebt habe, zu Ihren Mitbürgern zu zählen, ist ein Ballon voller Sauerstoff für das Ende meines Lebens«. Mit diesen bewegenden Worten verewigte sich Raymond Renaud im Goldenen Buch der Stadt. Am 30.10. verlieh die Stadt Weimar im Rahmen der Eröffnung des Weimarer Rendez-vous’ 2022 ihm und fünf weiteren Überlebenden des KZ Buchenwalds, Jacques Bloch, Armand Bulwa, Robert Galafrio, Jacques Moalic und Raymond Touraud, die Ehrenbürgerwürde.

Wir sind dankbar und glücklich, dies in Kooperation mit der Stadt Weimar und der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora ermöglicht zu haben!

Das Oldtime-Jazz-Ensemble der HfM Weimar spielte währrend des Festaktes Musikstücke, die einst das Jazzorchester im KZ Buchenwald zur Aufführung brachte.

Hintergrundinformationen zur Eröffnung 2022 hier!

05.10.2022

»Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal [von Ernst Thälmann]« – 2.0

Von Dr. Christian Faludi (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Forschungsstelle Weimarer Republik)

Unter den Denkmälern Weimars nimmt das Ernst Thälmann gewidmete einen optisch prominenten Platz ein, wurde es doch an der Carl-August-Allee errichtet, und springt damit jedem ins Auge, der vom Bahnhof kommend ins Stadtzentrum läuft. Im staatssozialistischen Ostdeutschland Fokuspunkt ideologisch aufgeladener Gedenkveranstaltungen, trat das Denkmal in den Jahren nach 1990 in seiner Bedeutung zunehmend zurück. Wohl wurde es weiterhin in das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einbezogen, doch für viele Besucher der Stadt, die vom Bahnhof kommend vorbeigingen, wie auch für nicht wenige jüngere Weimarer war es kaum noch sinnstiftend oder wurde auch nur explizit wahrgenommen und in seiner ursprünglichen Bedeutung verstanden.

Die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (GEDG) und der Weimarer Republik e. V. nahmen dies und das Helden-Motto des Rendez-vous mit der Geschichte zum Anlass für eine Kunstintervention – die Verhüllung des Denkmals vom 12. bis 15. November 2021 mittels eines Tuches. Ziel war es, durch die zeitweise »Sichtbarmachung durch Verschwinden« Thälmanns eine öffentliche Diskussion darüber anzustoßen, wie mit dem Ensemble aus DDR-Zeiten heute angemessen umgegangen werden kann. Dabei ging es keineswegs um Denkmalstürmerei, sondern vielmehr um notwendige Erläuterungen zur Biografie Ernst Thälmanns und zur Geschichte der Anlage. Die Aktion fand in den sozialen Medien, zum Teil auch in der Presse rasch Aufmerksamkeit, die von Zustimmung, aber auch sachlich formulierten Bedenken bis hin zu wütenden Protesten angesichts einer imaginierten Abrissabsicht reichten.

In einer öffentlichen Veranstaltung am 14. November 2022 diskutierten der Historiker und Mit-Kurator der Aktion, Christian Faludi (GEDG), der Publizist Armin Fuhrer sowie Rikola-Gunnar Lüttgenau (Gedenkstätte Buchenwald) mit dem Moderator Sergej Lochthofen im Rahmen des Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte, wie unsere demokratische Gesellschaft mit der Geschichte des Ortes und einem Denkmal, das »aus der Zeit gefallen« ist, umgehen kann. Auf diese Frage konnte eine anderthalbstündige Veranstaltung keine abschließende Antwort geben, wohl aber erste Impulse und Anregungen – und sie konnte einem Dialog mit der Zivilgesellschaft den Weg bereiten: Allen Anwesenden erschien es sinnvoll, dem Denkmal künftig eine erläuternde Tafel beizugeben. Zu diesem Zweck wurde vereinbart, eine Kooperation zwischen den Initiatoren aus der GEDG und dem Weimarer Republik e. V. mit der Gedenkstätte Buchenwald und der Stadt Weimar zu bilden, die sich der Umsetzung annehmen sollte. Überdies wurde beschlossen, eine wissenschaftliche Publikation zur Geschichte des Platzes anzufertigen, welche auch die jüngsten Kontroversen sowie den am Ergebnis orientierten erinnerungskulturellen Prozess dokumentiert.

Über den Jahreswechsel konkretisierten sich die Vorhaben insoweit, dass die notwendigen Voraussetzungen zur Errichtung der Tafel und Herstellung des Buches geschaffen werden konnten. Am 11. September 2022, dem Tag des offenen Denkmals, kam es nunmehr zu einer Platzbegehung der Institutionen. Neben der Erkundung eines möglichen Standortes wurden die Beteiligten öffentlich dazu aufrufen, Vorschläge und Anregungen zur inhaltlichen Gestaltung sowie Bildmaterial für die Tafel einzureichen. Auf dieser Grundlage entstehen im Anschluss mehrere Varianten, die im Zuge des diesjährigen Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte am 31. Oktober 2022 öffentlich zur Diskussion gestellt werden. Auf dem Podium dabei sein werden Prof. Dr. Hans Rudolf Meier (Bauhaus-Universität), Dr. Christian Faludi (GEDG) und Rikola-Gunnar Lüttgenau (Gedenkstätte Buchenwald).

»Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal [von Ernst Thälmann]« ist ein Projekt der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte und des Weimarer Republik e. V., in Kooperation mit der Stadt Weimar, der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie dem DFG-Graduiertenkolleg »Identität und Erbe« an der Bauhaus-Universität Weimar.

Das Thälmann-Denkmal erklären? Besuchen Sie unsere Veranstaltung am 31.10.2022, um 18.00 Uhr in der Notenbank Weimar:

Ernst Thälmann: Arbeiterführer! Anti-Faschist! Anti-Demokrat? Das Thälmann-Denkmal erklären

28.03.2022

Heute nur Jazz – Interview mit Franka Günther

»Rhythmus« – Jazz im Konzentrationslager Buchenwald heißt unsere erste Veranstaltung 2022. Tatsächlich hat Franka Günther die unglaubliche Geschichte eines Jazz-Orchesters im KZ ausgegraben und sich, von der Fasziniation gepackt, Wissen darüber angeeignet. In dem Konzert am 11.4.22 wird der Biografie der Musiker nachgegangen – begleitet vom Originalsound. Alle Informationen zur Veranstaltung hier…

Wie bist du auf das Thema gekommen?
2018 bin ich auf das Jazz-Orchester von Buchenwald aufmerksam geworden, und zwar durch einen Text von Jiří Žák, einem tschechischen Häftling, der vermutlich der Gründer des Orchesters war. Ich habe den Text gelesen und gedacht – kann nicht sein! Ein JAZZ-Orchester in Buchenwald??!! Obwohl ich mich seit 30 Jahren immer wieder mit der Geschichte des Konzentrationslagers beschäftige, hatte ich noch nie von diesem Orchester gehört. Das Gelesene hat mich angeregt, weitere Informationen darüber zu suchen. Was gar nicht so einfach war: Ich habe schnell festgestellt, dass die Existenz dieses Orchesters zwar bekannt war, dass es aber kaum Informationen zu den einzelnen Musikern gab. Seitdem treibt es mich um, die Mitwirkenden des Jazz-Orchesters sichtbar zu machen und ihnen eine Biografie zu geben.

Spannend! Wie bist du vorgegangen, welche Quellen gab es?
Neben den Archiven in der Gedenkstätte Buchenwald und in Arolsen sind unsere Quellen viele internationale Archive sowie Familienangehörige über den ganzen Globus verteilt. Ein Orchestermitglied lebt noch in den USA. Aus den Quellen wussten wir, dass dieses Orchester seit 1943 im Lager bestand und wie es damals überhaupt möglich war, die Musiker zu finden, ihnen Instrumente zu besorgen und wie sie proben und Konzerte geben konnten. Für diese Konzerte gibt es zwei Programmzettel und aus Berichten von ehemaligen Häftlingen wussten wir etwas über das Repertoire. Unter anderem auf dem Programm vom 19.4.1945 stehen auch Namen und Besetzung — aber manche davon sind nur Vor- oder Spitznamen. Wir konnten jedoch rekonstruieren, dass es bis zu 22 Musiker gab, die aus 9 Ländern kamen. 

Die Recherche zu dem Orchester erfolgte in mehreren Ländern und Sprachen und war extrem aufwändig – was hat dich angetrieben?
Einfach Faszination: Wie kann es sein, dass im KZ Musik gespielt wurde, die in Deutschland außerhalb des Stacheldrahtes verboten war? Das ist eines der Phänomene des KZ Buchenwald, dass es durch die starke illegale und internationale Organisation der Häftlinge gelungen ist, Kulturveranstaltungen zu ermöglichen, die vielen hundert Mithäftlingen Mut machten. Unglaublich, dass das funktioniert hat.
Es berührt mich, wie moralisch stark die Musiker waren, sich einfach nicht unterkriegen zu lassen. Bewegend ist auch die Erkenntnis, was die Musik für eine aufbauende Wirkung hatte, weil sie die KZ-Insassen für einen kurzen Moment von ihrem Alltag ablenkte.
Einer der Musiker schrieb: Jazz: das ist die Kunst der Begeisterung, die die Massen und eine freundschaftliche Atmosphäre braucht. Wie haben sie es geschafft, diese freundschaftliche Atmosphäre unter den gegebenen Umständen herzustellen ?
Die Recherchen in den tschechischen und amerikanischen Archiven wurden übrigens von Marketa Kroupova durchgeführt, mit der ich gemeinsam am 11.4.22 das Ergebnis vorstellen werde.

Mit dem Konzertabend willst du Schicksale in Buchenwald davor und danach sichtbar machen…
… Von drei Musikern haben wir leider entweder nur einen Vornamen oder einen Spitznamen, von zwei anderen konnten wir gar keine Spur mehr finden. Aber hier könnten spätere Forschungen ansetzen.
Von einigen Musikern haben wir Angehörige gefunden, die uns bei der Zusammenstellung der Biografien geholfen haben und denen wir Informationen zu ihren Vätern geben konnten, die für sie neu waren. So konnte ich den Kontakt herstellen zur Tochter des belgischen Schlagzeugers und zum Sohn eines französischen Saxophonisten, der mit Hilfe der illegalen internationalen Lagerorganisation der Häftlinge im Januar 1945 aus einem Außenlager zurück nach Buchenwald geholt wurde, um 3 Tage später in einem Konzert des Jazzorchesters mitzuspielen. Von diesem Häftling haben wir ein Tagebuch und von einem anderen eine Beschreibung des Konzertes vom 14.1.1945. Dem Sohn des Saxophonisten konnte ich von dem Tagebuch berichten, was für ihn völlig neu war und ihn dazu bewegte, nun eine Reise nach Weimar zu planen. Das originale Saxophon seines Vaters existiert noch und vielleicht kann er es uns mitbringen. Was für eine Geschichte – nach 77 Jahren !

À Propos Konzert – Wie kam es zu der Kooperation mit der Hochschule für Musik Weimar?
Es war mir sehr wichtig, dass junge Menschen sich mit dem Thema beschäftigen, daher fragte ich bei der Hochschule an und nicht etwa bei einer professionellen Big Band. Es liegt mir daran, dieses Wissen um Buchenwald zu verbreiten, so dass junge Menschen sich mit dem Thema beschäftigen.

Wie gehen die Studierenden mit dem Thema um?

Ich weiß, dass im Vorfeld der Proben die Themen Holocaust, Deportation und die Bedeutung von Kunst besprochen wurden. Ich glaube, die Herausforderung für die Studierenden bestand zudem insbesondere darin, dass wir am Anfang fast nichts hatten: Es gibt keine Noten von dem Orchester. Leider, denn die Arrangements wurden alle selbst geschrieben und zwar je nach Verfügbarkeit von Musikern und Instrumenten. Aber leider ist das ganze Notenmaterial offenbar nach der Befreiung verloren gegangen. Wir hatten nur die Programme mit den Titeln und die Studierenden mussten sich überlegen, wie sie das arrangieren.

Danke, liebe Franka! Ein tolles Konzert wünsche ich euch!

Das Konzert findet statt am 11.04.2022 um 19:00 Uhr in der Notenbank. Der Eintritt ist frei.

06.11.2021

Norbert Radig – eine Gitarre, eine Stimme

Er ist seit über 40 Jahren als Musiker in Thüringen unterwegs und hat mit seiner Band Radig sechs CD’s veröffentlicht. Am Freitag wird er die Musik bei unserer Eröffnungsveranstaltung machen, live. Wir freuen uns schon sehr!

Ihre Musik wird bei uns im Programm mit »Geschichtenliedern« angekündigt. Was genau darf man sich darunter vorstellen?
Ich werde alleine auftreten. Das heißt eine Gitarre und eine Stimme. Und die Lieder, die ich spiele, erzählen eine kleine Geschichte aus dem Leben.

Das Rendez-vous beschäftigt sich mit Geschichtsvermittlung. Was denken Sie, können unsere Veranstaltungen vermitteln, und inwiefern kann Ihre Musik das auch?
Geschichte und Geschichten sind nicht soweit voneinander entfernt. Wir müssen uns für die Geschichte des anderen sensibilisieren. Wir müssen uns gegenseitig zuhören. So werden wir auch einander verstehen können.

Leere Säle, Publikum mit Masken,… – Wie ist es, als Musiker momentan aufzutreten?
Wir haben in diesem Jahr relativ viele Konzerte spielen können. Keine Säle, aber dafür sehr gut besuchte Open Air-Veranstaltungen. Es war großartig. Ich vermute, über die kalte Jahreszeit werden wir uns wieder bescheiden müssen.

Was denken Sie persönlich, wie kann Kultur momentan, im zweiten Corona-Winter, funktionieren?
Es hängt wohl viel von der Impfbereitschaft der Menschen ab. Es ist ja nicht nur Schutz der eigenen Gesundheit und der Gesundheit der anderen. Für mich ist es auch eine Frage von Solidarität mit der Gesellschaft. Keiner mag die vielen Einschränkungen in fast allen Bereichen des Lebens. Mit einer hohen Impfrate wird das weniger werden. Davon ist auch die Kultur abhängig.

Worauf freuen Sie sich besonders nächsten Freitag?
Neben der Tatsache, dass ich spielen kann, freue ich mich auf eine interessante Diskussion.

06.11.2021

Hörflaneur 5. »Arbeitsheld:innen«

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Arbeitsheld:innen

Die Heroisierung der Arbeit ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Vor allem in kommunistischen Ländern spielte sie ein wichtige Rolle, um die Moral und den Zusammenhalt der arbeitenden Bevölkerung zu stärken. Wichtige Elemente der Heroisierung waren der 1927 in der Sowjetunion geschaffene Ehrentitel »Held der Arbeit« und verschiedene Kampagnen zur sogenannten »Stoßarbeit«.

In der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands erfuhr der Bergmann Adolf Hennecke landesweit einen Heldenstatus, nachdem er im Jahr 1948 eine Arbeitsleistung erbracht hatte, die die Norm um 380 Prozent übertraf. Hennecke füllte in den Wochen nach seiner Rekordschicht nicht nur die Schlagzeilen der Zeitungen. Er wurde in zahllosen Bildern und Büsten dargestellt und tourte fortan durch das Land, um an die Arbeitsmoral seiner Mitmenschen zu appellieren. Der DDR diente Adolf Hennecke über seinen Tod hinaus als bedeutende Helden- und Identifikationsfigur.

Literaturhinweise/​Quellen

Deutsches Institut für Zeitgeschichte: »Lehrbuch für Geschichte, Klasse 10.« Berlin 1971.
Dietmar Neutatz /​ Irina Tibilova: »Arbeitsheldentum«. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 »Helden – Heroisierungen – Heroismen« der Universität Freiburg.
Horst Neubert: »Rekord unter Tage«. Mit Illustrationen von Wolfgang Freitag. Der Kinderbuchverlag Berlin. Berlin 1983. (Auszüge S. 60, 100f.).

Impressum

Text: Thomas Schader
Sprecher: Nora Hilgert & Andreas Kallwitz
Musik: Epidemic Sound und »Soldatenchor, Orchester, und Musikkorps des Wachregiments,,Feliks Dzierzynski« Berlin, Rundfunkchor Berlin, und Großes Rundfunkorchester Berlin« (Public Domain)

Produktion & Idee: Nora Hilgert
Die Audiobeiträge sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht heruntergeladen, verändert oder vervielfältigt werden.

06.11.2021

Hörflaneur 4. »Alltagsheld:innen«

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Alltagsheld:innen

Alltagshelden zeichnen sich durch eine grenzüberschreitende Außergewöhnlichkeit aus – sie riskieren ihr Leib und Leben, um anderen Menschen in Notlagen zu helfen. Damit grenzen sie sich ab von Superman, Spiderman und Co, den Helden des Marvel Universums.

Wir sprechen bei Alltagshelden häufig von Zivilcourage. Gedacht sei hier bspw. an die sog. »Gerechten unter den Völkern«, Menschen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft ihr Leben aufs Spiel setzten, um Jüdinnen und Juden vor der Ermordung zu retten. In der heutigen Zeit hat sich ein weiterer Diskurs herausgebildet, der den besonderen Belastungen einiger Berufsgruppen im überfordernden Alltag und in Krisen Anerkennung zollt. So werden Mitarbeitende im Gesundheitssystem, bei der Polizei und der Feuerwehr in den Medien, aber auch von der Bevölkerung oft als Alltagshelden bezeichnet.

Literaturhinweise/​Quellen

Wolfgang Hochbruck /​ Damaris Stein: »Alltagshelden«. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 »Helden – Heroisierungen – Heroismen« der Universität Freiburg, Freiburg 16.12.2019.
Ausgewählte Beispiele von sog. »Gerechten unter den Völkern« finden Sie hier.

Impressum

Text: Thomas Schader
Sprecher: Nora Hilgert & Andreas Kallwitz
Musik: Epidemic Sound

Bilder:
Currier & Ives: »Facing the Enemy«. Nachgefärbte Lithographie. In Gale Research (Hg.) (1983): Curier & Ives: A catalogue raisonné. Detroit (Library of Congress, digital ID: ppmsca.01579)
Theobald von Oer: »Das Lied vom braven Mann«. Holzschnitt nach Zeichnung. In: Ehrhardt, Adolf /​ Oer, von Theobald u.a. (Hg.) (1852): Deutsches Balladenbuch. Leipzig. (Google Books)

Produktion & Idee: Nora Hilgert
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06.11.2021

Hörflaneur 3. »Märtyrer«

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Märtyrer

Für den Glauben zu sterben, war das Ziel vieler Missionare, die sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts nach Asien und Amerika begaben. Sie wollten dort das Christentum verbreiten. Vor allem für die Jesuiten galt der Märtyerertod als ein heroischer Akt. Um als Märtyrer in die Geschichte des Ordens einzugehen, mussten die Missionare allerdings den richtigen Tod sterben. Der Tod durfte nicht selbst provoziert werden, sondern musste unverschuldet eintreten. Dies konnte durch eine beständige und alltägliche Aufopferung, dem »weißen« Martyrium, geschehen oder durch einen gewaltsamen Tod —- dem »roten« Martyrium.

Der Kult um die Blutzeugenschaft führte im Jesuitenorden bald dazu, dass eine Art Konkurrenz unter den Missionaren aufkam und dass die Mission ohne den heldenhaften Märtyrertod für viele Jesuiten nicht mehr erstrebenswert war.

Zu den Bildern: Aus dem Martyrologium »Societas Jesu Usque Ad Sanguinis […]« (1675) des böhmischen Jesuiten Mathias Tanner (1630–1692) wusste der missionarische Nachwuchs von den verschiedenen Szenarien, wie man in Asien und Amerika zu einem ›Blutzeugen Christi‹ werden konnte. Hier eine Auswahl eindrücklicher Martyriumdarstellungen.

Literaturhinweise/​Quellen

Burschel, Peter (2004): Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit. München.
Verbiest, Ferdinand: Peking, 15.08.1678. In: Golvers, Noël (Hg.) (2017): Letters of a Peking Jesuit. The correspondence of Ferdinand Verbiest, SJ (1623–1688). Leuven.
Wilhelmi, Joseph: El Puerto/​Sevilla, 31.12.1740–25.07.1741. In: Stöcklein, Joseph (Hg.) (1726–1761): Der Neue Welt-Bott. Allerhand so Lehr- als Geistreiche Brief […] Augsburg u.a. Nr. 654.
Tanner, Mathias (1675): Societas Jesu Usque Ad Sanguinis Et Vitae Profusionem Militans In Europa, Africa, Asia, Et America Contra Gentiles, Mahometanos, Judaeos, Haereticos, Impios, Pro Deo, Fide, Ecclesia, Pietate Sive Vita, Et Mors Eorum, Qui ex societate Jesu in causa Fidei, & Virtutis propugnatae, violenta morte toto orbe sublati sunt. Prag.

Impressum

Text: Thomas Schader
Sprecher: Nora Hilgert & Andreas Kallwitz
Musik: Epidemic Sound

Produktion & Idee: Nora Hilgert
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04.11.2021

Hörflaneur 2. »Homerische Helden«

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Homerische Helden

Die Ilias und die Odyssee, die Heldenepen des griechischen Dichters Homer, gelten als die frühesten Werke der europäischen Literatur. Sie prägen bis heute unsere Vorstellungen vom »Heldentum«. Achilles, der Held der Ilias, verwirklicht die heroischen Tugenden im Kampf um Troja. Dort behauptet er sich im Alleingang gegen eine Unzahl von Gegnern und tötet sie auf grausame Weise.

Ehre und Ruhm stellen somit die zentralen Werte des homerischen Helden, die einhergehen mit Krieg und Gewalt, die wohl langlebigste und auch erfolgreichste Konstante europäischer Heldenvorstellungen. Dabei war das Heldentum in der patriarchalen, vom Kriegeradel geprägten Welt der Antike lediglich edlen und tapferen Männern vorbehalten – Frauen traten nur in Nebenrollen auf.

Die homerischen Helden sind jedoch nicht auf Krieg und Gewalt allein festgelegt. Odysseus ist der Held, der Ehre und Ruhm durch seinen Verstand, seine Duldsamkeit und seine Anpassungsfähigkeit erwirbt. Das Epos war das wichtigste Genre, um die seinerzeit herausragenden Taten antiker Helden zu verbreiten. Ohne den vermittelnden Dichter wäre das ganze heldische Bemühen allerdings umsonst gewesen und die Mythen wären bald in Vergessenheit geraten.

Literaturhinweise/​Quellen

Stefan Tilg /​ Ralf von den Hoff: »Homerische Helden«. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 »Helden – Heroisierungen – Heroismen« der Universität Freiburg, Freiburg 26.06.2019.

Homer: Ilias. Übersetzt von Johann Heinrich Voß. Freie Digitale Bibliothek (Digbib)

Impressum

Text: Thomas Schader
Sprecher: Nora Hilgert & Andreas Kallwitz
Musik: Epidemic Sound

Produktion & Idee: Nora Hilgert
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04.11.2021

Hörflaneur 1. »Held:innen – Eine Einführung«

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Held:innen. Eine Einführung

Helden scheinen allgegenwärtig zu sein. Aber wer oder was sind eigentlich Helden? Was zeichnet sie aus? Und welche Rolle spielen sie für uns, für unsere Gesellschaft?

Als ‚Helden› bzw. ‚Heldinnen› werden Einzelpersonen oder Personengruppen verstanden. Diesen wird eine außeralltägliche und eine das menschliche Maß übersteigende Leistung zugeschrieben. Unter Berufung auf diese Tat, vor allem jedoch aufgrund ihrer oft charismatischen Erscheinung entfalten Heldinnen und Helden eine gewisse Aura.

Heroische Figuren sind elementare Bestandteile kultureller Sinnsysteme. Sie bieten eine Projektionsfläche kollektiver Wünsche, Ideale und Werte und fungieren gewissermaßen als soziale Resonanzphänomene. Deshalb werden sie meist von einer Gemeinschaft verehrt, wenn sie deren Werte in besonderer Weise verkörpern.

Heldenfiguren werden meist in Zeiten von Krisen geboren. Wenn institutionelle oder soziale Ordnungen erodieren, wenn Moral oder Glaube keine überzeugenden Sinnangebote mehr bereitstellen, dann treten die Heldinnen und Helden auf den Plan von so manchem. Und manchmal vermögen sie dann vielleicht zu helfen.

Literaturhinweise/​Quellen

Sonderforschungsbereich 948: »Held«. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 »Helden – Heroisierungen – Heroismen« der Universität Freiburg, Freiburg 01.02.2019.

Impressum

Text: Thomas Schader
Sprecher: Nora Hilgert & Andreas Kallwitz
Musik: Epidemic Sound

Produktion & Idee: Nora Hilgert
Die Audiobeiträge sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht heruntergeladen, verändert oder vervielfältigt werden.

23.10.2021

Weimarer Rendez-vous goes Uni

Kinder, Zeitzeug:innen, Orte – in diesem Jahr widmen wir uns dem Thema Geschichtsvermittlung auf vielen verschiedenen Ebenen. Ein spannendes und seit Jahren sehr erfolgreiches Format ist dabei der internationale Workshop für Studierende und Promovierende aus Deutschland und Frankreich, eine Kooperation der Universitäten Erfurt und Paris 3 Sorbonne Nouvelle, gefördert von der Deutsch-Französischen Hochschule. Zwar ist der Workshop, im Gegensatz zu unseren anderen Veranstaltungen, nicht öffentlich, über das spannende Projekt informieren möchten wir Sie aber trotzdem gerne!

Verantwortlich für das Seminar:

Prof. Dr. Susanne Rau, Universität Erfurt (mehr Infos..)
PD Dr. Elisa Goudin (Université de la Sorbonne Nouvelle, Paris 3) (mehr Infos…)
Dr. Alice Volkwein (mehr Infos…)

Wo bleiben die Heldinnen? Ein Workshop für Studierende und Promovierende

In letzter Zeit hat die Frage der Gender(un)gerechtigkeit in unseren westlichen Gesellschaft immer wieder Schlagzeilen gemacht. Neben den vielen Debatten um Sexismus und Sexualverbrechen wird auch das Thema der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen diskutiert, sei es im Job oder im politischen Betrieb. Auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen werden die Ungleichheiten zwischen Mann und Frau immer öfter mitreflektiert: Familie, Religion, Stadtplanung, Sprache und Universität, wo die Gender Studies zwar im Aufwind sind, aber auch in manchen Ländern wie Ungarn infrage gestellt werden. Ein zentrales Thema für jede Demokratie.

Dieses Seminar will die Frage nach Wegen und Mitteln, um die Gendergerechtigkeit zu fördern, erneut aufgreifen, sie allerdings im Rahmen des Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte auch aus der historischen Perspektive und im deutsch-französischen Vergleich untersuchen. Welche historischen Faktoren erklären die aktuellen Geschlechterverhältnisse in beiden Ländern? Wie können wir die Ost-West-Unterschiede verstehen, die dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch bestehen? Wie haben sich feministische Bewegungen artikuliert und welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede in der heutigen Bewegung? Ziel ist es, an der Schnittstelle zwischen Ideengeschichte und Geschichte der Repräsentationen nachzudenken. Wir werden die Beiträge der Alltagsgeschichte und der Sozialgeschichte zur Geschichtsschreibung von Frauengeschichte diskutieren, und uns damit mit mehreren aktuellen Trends in der Geschichtswissenschaft befassen.

Drei Tage lang werden Studierende und Promovierende aus Erfurt und Paris diese Fragen im Rahmen von Referaten und Gruppendiskussionen erörtern, aber auch dank Diskussionen mit Expert:innen und Zeitzeug:innen, eines intensiven Kulturprogramms und der Teilnahme an ausgesuchten öffentlichen Podien unseres Festivals (s.u.).

Zeitplan für den Workshop

Donnerstag, den 11.11.2021

  • 16:02 Uhr Weimar Hbf : Ankunft der französischen Studierenden/​Promovierenden in Weimar
  • 16.30 -18 Uhr: Führung um und durch das neue Bauhausmuseum in Weimar zum Thema »Frauen im Bauhaus«
  • Einchecken ins Hummel Hostel, Steubenstraße 19a
  • 19.00 Uhr : Gemeinsames Abendessen

Freitag, den 12.11.2021

  • 8.45 Uhr: Grußworte und einführende Wörter zum Thema Gender und Genderforschung (Prof. Dr. Susanne Rau, Dr. habil. Elisa Goudin und Dr. Alice Volkwein)
  • 9.00–12.00 Uhr: Seminar in Weimar (Goethe-Nationalmuseum Festsaal)
  • Referate zu Frauenrollen und Frauenbewegungen im Laufe der Geschichte
    (a) »Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit?« Frauen und Feminismus in Frankreich im 20. Jahrhundert (StudentInnen der Uni Erfurt)
    (b) »Kinder Küche Kirche« oder Emanzipation?« Frauenrollen und Frauenbewegungen vor und nach 1945 im Westen (StudentInnen der Uni Paris)
    (c) »Verordnete Emanzipation in der DDR?« Frauenrolle und Frauenbewegung in der DDR (StudentInnen der Uni Erfurt)
  • Mittagessen in der Mensa
  • 13.00–14.30 Uhr: Seminar (Goethe-Nationalmuseum Festsaal)
  • Vortrag zum Thema »Frauenbewegung im Osten, damals und heute« (Vortrag von Dr. Jessica Bock, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur)
  • 15.00–16.00 Uhr: Kommentierte Führung von Dr. Andreas Braune durch das Haus der Weimarer Republik zum Thema »Erste deutsche Frauenbewegung und Frauen im ersten deutschen Parlament« (in zwei Gruppen: 15Uhr /​ 16Uhr)
  • freies Abendessen
  • 20.00 Uhr : Film »Die Suffragetten« im Kino Mon Ami

Samstag, den 13.11.2021

  • 10.00–12.00 Uhr: Podium »Jede Zeit schafft ihre eigenen Helden. Zur historischen Wandelbarkeit des Heroischen im 19. und 20. Jahrhundert« mit Armin Owzar, Elisa Goudin und Benjamin Marquart (in der Eckermann Buchhandlung)
  • Catering im Goethe-Nationalmuseum
  • 13.30–15.00 Uhr: Gespräch mit der Zeitzeugin und Aktivistin Samirah Kenawi zu ihrer Erfahrung in der ostdeutschen Frauenbewegung
  • 15.30–16.45 Uhr: Seminar, Gruppendiskussionen (Goethe-Nationalmuseum Festsaal)
    (a) »Frauenquote oder Quotenfrau?«: wie fördert man effektiv die Gleichstellung der Geschlechter? (von DoktorandInnen moderiert)
    (b) »Feminismus und Rassismus: ein gemeinsamer Kampf?« (von DoktorandInnen moderiert)
    (c) »Natürlich hysterisch!« Frauenbilder in Kunst und Gesellschaft (von Doktorand:innen moderiert)
  • 17.00–17.30 Uhr: Abschlussdiskussion über Frauen und Männer im Superwahljahr
  • 18.00 Uhr: BONUS-PROGRAMM: Podium »Starke Männer, mutige Frauen. Heroische Personalisierungen in der Politik« in der Eckermann Buchhandlung
  • 19.30 Uhr: Abendessen

Sonntag, den 14.11.2021

  • Rückfahrt nach Paris um 09:54 Uhr

16.10.2021

Weimarer Rendez-vous goes Kids

Auf zu neuen Ufern! In diesem Jahr wird einiges neu, z.B. diese Website hier :-) Noch eine wunderbare Neuerung ist, dass wir uns entschlossen haben, ein Programm für Kinder anzubieten. Demokratievermittlung ist zu wichtig, um damit nicht schon unter 18 anzufangen. Wir haben großartige Kooperationspartner gewinnen können, die ein breites Spektrum an unterschiedlichen Veranstaltungen anbieten.

Liebe Kinder und Eltern, lasst euch hier inspirieren und seid beim Rendez-vous unbedingt mit dabei!

Wo?

  1. Die Stadtbibliothek Weimar macht im Vorfeld unseres Festivals eine Begleitausstellung zum Thema »Helden« mit Medien zum Entleihen für alle Altersgruppen.
    Kommt einfach ab Montag, den 8. November in die Stadtbibliothek und lasst euch inspirieren von einer umfangreichen Auswahl an heldenhaften DVDs, Büchern und Hörbüchern.

  2. Theaterstück für Grundschüler:innen im Rahmen des »Weimarer Buchlöwe«
    Wie der Zufall will, widmet sich der Schreibwettbewerb »Weimarer Buchlöwe« in diesem Jahr dem Thema »Wir sind Helden! Lustige Geschichten von mutigen Mädchen und Jungen«. Alle Kinder im Grundschulalter sind eingeladen, eigene Geschichten zu verfassen und bis zum Ende der Winterferien an die Stadtbücherei Weimar zu senden. Die besten Beiträge werden von einer Jury prämiert und anschließend im Blog des Weimarer Rendez-vous veröffentlicht. Am Freitag, den 12. November und am Montag, den 15. November gibt es ein Theaterstück, welches sich um die Geschichte vom kleinen Angsthasen rankt, der zum Helden wird. Aber auch im Publikum werden mutige Kinder gefragt sein.
    Weitere Informationen…

  3. Ritter & Co – ein Helden-Workshop für Kinder im Alter von 5–10 Jahren
    Was ist ein Held, eine Heldin? Feuerwehrleute, Spiderman, Pippi Langstrumpf – welche Held:innen kennen wir? Wie können auch Kinder sich heldenhaft verhalten? Dies wollen wir in einem interaktiven Vortrag und anschließendem Workshop mit Kindern im Alter von 5 bis 10 Jahren thematisieren. An verschiedenen Stationen können die Kinder sich spielerisch mit dem Heldenhaften auseinandersetzen und auch selbst allerlei Heldisches herstellen. Auch eine Schmink-Aktion ist geplant. Der Workshop wird angeleitet von Studierenden des Studiengangs Kindheitspädagogik der FH Erfurt. Erwachsene Begleitpersonen sind herzlich willkommen.
    Samstag, 13. November, 10:00–12:00 Uhr, wahrscheinlich in den Räumen der VHS Weimar (tbc)
    Aufgrund der beschränkten Teilnehmerzahl bitten wir um Anmeldung bis 05.11.2021 unter redaktion@weimarer-rendezvous.de.

PS: Wer hat Lust, uns jetzt schonmal für diese Website ein Superhelden-Bild zu malen? Wir veröffentlichen alles :-)

08.10.2021

Wie forscht man zu Helden?

Wir interviewen Sebastian Meurer, wissenschaftlicher Koordinator des Sonderforschungsbereichs (SFB 948) »Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne« an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Lieber Herr Meurer, Ihr Sonderforschungsbereich setzt sich seit knapp zehn Jahren intensiv mit der Helden-Thematik auseinander. Könnten Sie uns kurz erklären, wie ein Sonderforschungsbereich (SFB) arbeitet und was Ihrer Meinung nach den SFB zu Helden, Heroisierungen und Heroismen auszeichnet?

In Sonderforschungsbereichen schließen sich an einer Universität Wissenschaftler:innen vieler Disziplinen zusammen, um gemeinsam bis zu 12 Jahre lang zu einem Thema zu forschen, das ein einzelnes Fach nicht allein in den Griff kriegen kann. Über die Jahre entwickeln dann die Beteiligten eine gemeinsame Perspektive, natürlich ohne ihre fachlichen Fragen aus dem Blick zu verlieren. Am Freiburger SFB forschen seit 2012 jeweils ca. 50 Wissenschaftler:innen, besonders aus den Geschichts- und Literaturwissenschaften, aber auch zum Beispiel aus der Soziologie, Philosophie oder der Islamwissenschaft. Über die Zeit ist ein starker Teamgeist entstanden, der das gemeinsame Großprojekt trägt.

Der SFB beschäftigt sich mit Transformationen und Konjunkturen von Helden, Heroisierungen und Heroismen von der Antike bis zur Moderne. Kann man sagen, dass es heldenhafte und weniger heldenhafte Epochen in der Geschichte gab?

Ganz weg waren Helden nie, aber welche Figuren in Gesellschaften auf den Sockel gehoben werden, ändert sich über die Zeit. Dabei ändert sich auch der Stellenwert, den diese Figuren einnehmen. In Deutschland war zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg die Rede von Helden lange verpönt. Helden sind aber nicht tot zu kriegen. In den letzten Jahren wird der Begriff wieder inflationär benutzt. Durch die Geschichte zeigt sich, dass Helden besonders in Umbruch- bzw. Krisenzeiten Konjunktur haben.

Dieses Jahr widmet sich das Weimarer Rendez-vous »Ihrem« Thema, den »Helden (m/​w/​d)«. Halten Sie das Festival für eine geeignete Plattform, um über die Thematik des Heldentums in der Öffentlichkeit zu diskutieren?

Auf jeden Fall. Das Weimarer Rendez-vous ist wirklich ein beeindruckendes Forum für eine öffentliche Debatte, die über den Austausch von vorgefertigten Meinungen hinausgehen kann. Zu Helden hat jede:r eine Meinung, aber kaum jemand macht sich klar, dass bei Heldengeschichten oft ältere Vorbilder mitschwingen und man leicht in alte Muster fällt. Öffentliche Gesprächsformate, die ausdrücklich die Geschichte (mit)denken sind da ein Glücksfall. Die historische Betrachtung kann vielleicht helfen, nicht in solche Fallen zu tappen.

Der SFB existiert seit 2012 und gliedert sich in drei Phasen mit diversen Teilprojekten. Was waren denn die Schwerpunkte der einzelnen Phasen?

In den ersten beiden Phasen haben wir zunächst vor allem fachliche Fallstudien durchgeführt, auch um solide Grundlagen für übergeordnete Fragen zu schaffen. Um nicht zu sehr in die Fänge aktueller Debatten zu geraten, lag der Schwerpunkt dabei erst auf der Vormoderne. Die Forschungsprojekte beschäftigten sich mit Europa und Nordamerika, von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. In der zweiten Förderphase haben wir den Blick erweitert. Zeitlich bis in die Gegenwart und räumlich, indem wir andere Weltregionen miteingeschlossen haben, besonders den Nahen und Mittleren Osten und China. In unserer abschließenden Förderphase wollen wir unsere Ergebnisse noch einmal zusammenziehen und deutlich machen, was der Blick auf das Heroische zu ausgewählten, breiteren Forschungsfelder beitragen kann. Indem man sich mit Heldenbildern beschäftigt, kann man zum Beispiel viel über den Wandel von Männlichkeitsvorstellungen lernen.

In den knapp zehn Jahren wurde also sehr breit geforscht. Welche Arten von Publikationen sind denn in dieser Zeit entstanden?

In der Zeit sind viele Bücher entstanden, auf Deutsch und Englisch; Mongrafien zu Spezialthemen, aber auch gegenwartskritische Schriften wie Ulrich Bröcklings Postheroische Helden. Der SFB gibt selbst zwei wissenschaftliche Schriftenreihen heraus sowie ein eigenes, frei zugängliches E-Journal zum Heroischen mit mittlerweile über 20 Ausgaben (zum Überblick über die Publikationen…) Außerdem möchte ich gerne auf das Compendium heroicum hinweisen, unser Online Lexikon zur Heldenthematik, das stetig wächst. Ich kann nur einladen, einmal einen Blick darauf zu werfen (zum Compendium…).

Wir haben im Rahmen der Vorbereitungen zum diesjährigen Festival in der Tat schon mehrere Blicke auf das Compendium geworfen und können Ihnen nur zustimmen: es lohnt sich auf jeden Fall, damit zu arbeiten! Im Jahr 2024 wird der Sonderforschungsbereich auslaufen. In der Abschlussphase sollen die Forschungsergebnisse zusammengeführt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auf welchen Wegen findet der Wissenstransfer statt?

Gemeinsam mit der Freiburger Universitätsbibliothek entwickeln wir ein Online-Portal, das unsere Publikationen soweit wie möglich frei zugänglich und dauerhaft zur Verfügung stellen soll. Dort wird dann auch das Compendium heroicum integriert. Dabei wird es für verschiedene Zielgruppen aufbereitete Materialien geben, z.B. für den schulischen Bereich. Außerdem bereiten wir eine große öffentliche Ausstellung vor, die im Frühjahr 2024 in Berlin-Gatow gezeigt werden soll. Das wird ganz sicher spektakulär!

Wir hätten da noch eine eher persönliche Frage: Wenn Sie bei einem Bierchen mit Freunden von Ihrer Arbeit erzählen, wie fallen die Reaktionen aus?

Von meiner Arbeit zu erzählen gibt tatsächlich für Biergespräche einiges her – auf meiner Visitenkarte steht »Helden«! Über Heldinnen und Helden zu reden, löst oft Emotionen aus, aber glücklicherweise sind die Reaktionen in meinem Umfeld meist sehr positiv und interessiert.

01.10.2021

10 Dinge, auf die wir uns beim Rendez-vous 2021 freuen

1. Wir wissen nicht, warum, aber meistens ist das Wetter am Rendez-vous-Wochenende bombig. Sonnig, kalt, wunderbar. Für die Zugereisten bedeutet dies: Abends gemütlich der Thüringer Küche frönen, tagsüber natürlich Podien besuchen und warm eingemümmelt einen ausgedehnten Spaziergang durch den Ilm-Park machen.

2. Helden m/​w/​d. Wie inspirierend ist das bitte? Bronzezeit, Antike, 19. Jahrhundert, Weimarer Republik, DDR, Bundesrepublik, heute – in allen Epochen finden sich kleine und große, gemachte, erdachte, wahre und vergessene Held:innen. Doch wer ist eigentlich Held:in? Kommen Sie mit uns auf Entdeckungsreise. Am besten jetzt schon auf https:/​/​weimarer-rendezvous.de/​de/​programm/​

3. Der Abschlussabend mit Felix Reuter (Weimar) am Klavier. Er ist einfach unglaublich nett, und wir sind gespannt, was er uns Musikalisches zum Thema Helden m/​w/​d mit leichter Hand zusammengestellt hat. Mehr Infos hier…

4. Die Arbeit im Team. Zusammen sind wir einfach gut – egal, ob aus Göttingen, Wiesbaden, Weimar oder der Thüringer Provinz. An dem Wochenende halten wir alle zusammen die Stellung. Referenten im Stau, Bahnstreik, Interviews, Raumänderungen, komplizierte Technik – kein Problem ohne Lösung. Hier sind wir alle zu sehen.

5. Die Lesung mit Briefen von James und Freya von Moltke. Das Ganze geht unter die Haut, die bewegenden Briefe von Zweien, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus bis in den Tod leisteten, von Schauspieler:innen gelesen, dazu Musik auf der Querflöte – wir sind gespannt auf die Mischung! Alle Infos hier…

6. Endlich mal wieder Französisch sprechen! Wir hoffen, dass es keinen pandemischen Strich durch unsere Rechnung gibt: Referentinnen und Referenten aus Frankreich kommen. Auch wenn die meisten hervorragend Deutsch sprechen, lassen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen, das ein oder andere »Bonjour« und »Bienvenue« zu hauchen. Oder darf es auch etwas Polnisch sein? »Dzień dobry«!

7. Natürlich der »Tag der Geschichte am 13.11.«. Es ist immer toll, wenn man etwas Neues macht, und wir in diesem Jahr gleich in geballter Form: Von Klassik-Stiftung, Haus der Weimarer Republik, Lernort Weimar, Decolonize, EJBW, Hauptstaatsarchiv, Stadtarchiv Weimar und Stiftung Ettersberg – alle machen mit und tragen unser Festival nach Weimar hinaus. Gehen Sie hin, laufen Sie mit, hören Sie zu, seien Sie neugierig! … Der Tag der Geschichte ist orange in unserem Programm gekennzeichnet.

8. 7 Filme an 4 Tagen. Unser kleines, erlesenes Filmfestival hat es wieder in sich und man kann sich insgesamt kaum entscheiden: Film oder Podium oder doch lieber Stadtführung? Die Filme stellen wir in den nächsten Tagen online.

9. Endlich wieder live. Es sieht so aus, als wäre das drin! Und wer hat nicht den persönlichen Austausch mit anderen Menschen vermisst?!. Für alle, die sich an Zoom &Co gewöhnt haben – einige Veranstaltungen werden wir online übertragen. Aber drücken Sie uns alle Daumen, dass wir an dem Wochenende Auge in Auge miteinander sprechen können.

10. Die Beiratssitzung am Morgen danach. Vielleicht kennen wir dann schon unser neues Thema für 2022.

23.09.2021

Interview mit Dr. Nora Hilgert

Hallo Nora! Du bist seit 1. Januar 2021 Leiterin des Weimarer Rendez-vous. Wie bist du das erste Mal auf das Festival aufmerksam geworden?

Da muss ich mal in meinem Gedächtnis kramen … Ich kenne das Festival eigentlich schon seit dessen Anfängen vor über zehn Jahren. Damals habe ich noch als Geschäftsführerin des Deutschen Historikerverbandes gearbeitet. Der Verband und das Rendez-vous sind eine Kooperation miteinander eingegangen und so wurde ich in den Wissenschaftlichen Beirat des Festivals entsandt. Als ich dieses Jahr die Leitung übernommen habe, waren mir Weimar und das Festival also schon sehr vertraut.

Was spricht dich beim Rendez-vous am meisten an? Was macht es für dich einzigartig?

Als Geschichtswissenschaftlerin lernt man einen anderen Blick auf die Geschichte zu haben, denn das Studium lehrt, Quellen und vergangene Zeiten mit einem festen Methodenrepertoire zu befragen, Zusammenhänge zu begreifen und Tiefenschärfe in die Vergangenheit zu bringen. All das passiert in einem akademischen Umfeld, das zwar den Dialog mit der Gesellschaft sucht, sich aber oft auch selbst genügt (um es mal ganz selbstkritisch zu formulieren). Forschungsergebnisse einem größeren und interessierten Publikum zugänglich und nahbar zu machen, hat sich das Festival seit seinen Anfängen auf die Fahnen geschrieben und das ist es, was es in Deutschland einzigartig macht. Wo sonst haben wir an mehreren Tagen eine Fülle von Podiumsdiskussionen quer durch die Geschichte, die keine wissenschaftliche Fachtagung sind, sondern ein publikumsnahes Programm bilden, das ohne Eintritt von jeder Frau und jedermann angehört werden kann?

Wie kann Geschichtsverständnis zur Demokratieförderung beitragen? Was bedeutet dir persönlich die Geschichtswissenschaft?

Was soll ich sagen? Geschichte ist mein Beruf und ich bin der tiefen Überzeugung, dass das Wissen um die eigene Geschichte – und damit meine ich nicht die eigene Familiengeschichte, sondern unser aller Geschichte – essenziell ist, um unsere Gesellschaft, unser gesamtes Miteinander, aber auch die Zukunft zu gestalten. Ich würde das gerne an einem kleinen Beispiel demonstrieren: in einigen Wochen ist Bundestagswahl und für manch einen wird es vielleicht ganz selbstverständlich scheinen, das Kreuzchen zu setzen und den Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen. Doch es ist mitnichten selbstverständlich, denn unsere Demokratie in Deutschland ist eine sehr junge, die noch nicht einmal ein Jahrhundert zurückreicht.

Geschichte und Demokratie gehen für mich einen gemeinsamen Weg, denn wir können unsere Demokratie nur zukunftsfähig gestalten, wenn wir eben unsere Geschichte kennen, ihre Untiefen, ihre Gräuel, aber auch das, was vergangene Generationen richtig gemacht haben. Aus der Geschichte lernen, heißt sie zu kennen und sie zu reflektieren. Das Rendez-vous ist somit für mich ein essenzieller Teil, Demokratie zu leben, also sich im Dialog zu befinden mit dem ganzen Wissen um unsere eigene Geschichte

Dieser Grundgedanke hat zum ersten Mal in der Geschichte des Rendezvous besondere Förderer auf das Festival aufmerksam werden lassen. Was kannst du uns dazu sagen?

Ja, es ist in der Tat so, dass es uns erstmalig gelungen ist eine gemeinsame Förderung von Bund (in diesem Falle bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien), dem Freistaat Thüringen und der Stadt Weimar einzuwerben. Franka Günther, Gründerin und bis letztes Jahr Leiterin des Festivals, hat hierfür den Weg geebnet, indem sie das Festival zu dem ausgebaut hat, was es jetzt ist. Resultierend aus meiner Grundüberzeugung, dass Geschichte und Demokratie eng miteinander verwoben sind, habe ich mit Unterstützern aus der Stadt Mittel aus den Förderertöpfen »Orte der Demokratiegeschichte« eingeworben. Meine Vision ist es, das Festival zu einem lebendigen Ort der Demokratiegeschichte auszubauen.

»Lebendiger Ort der Demokratiegeschichte« – was heißt das genau?

Demokratiegeschichte verbindet das, was ich oben schon sagte, mit dem Grundgedanken des Dialogs. Über Geschichte als auch Demokratie müssen wir kontinuierlich im Gespräch bleiben, darüber streiten, aber auch im Sinne des Miteinanders einen Konsens finden. Wir dürfen nie stehen bleiben und müssen unsere Demokratie weiterentwickeln, weil sich auch unsere Welt kontinuierlich entwickelt. Und dazu ist es eben wichtig, miteinander zu reden. Der richtige Ort ist für mich das Festival, da hier Historiker:innen, Politolog:innen, Soziolog:innen und viele mehr zusammenkommen, um mit uns über verschiedene Themen zu diskutieren, uns einen internationalen Horizont aufzuzeigen, und vielleicht so manches schiefe Bild gerade rücken. Gleichzeitig dürfen auch wir mit ihnen streiten, ihnen Fragen stellen und von ihrem Wissen profitieren. Ich kann also alle, die das hier lesen, nur dazu ermuntern, vom 12. bis 14. November nach Weimar zu kommen und mit uns das Weimar Rendez-vous mit der Geschichte zu feiern.

Das klingt sehr spannend, in welche Richtung soll es in Zukunft gehen?

Neben dem seit Jahren etablierten Programm aus ca. 20 Podiumsdiskussionen und einem kleinen Filmprogramm sollen neue Programmmodule entstehen. In diesem Jahr werden wir das erste Mal den »Tag der Geschichte« begehen: Ich habe die großen Institutionen der Stadt, wie das Stadtmuseum, das Stadtarchiv, die Klassik-Stiftung, die Gedenkstätte, das Haus der Weimarer Republik, die Stiftung Ettersberg, die EJBW und andere eingeladen, ein gemeinsames Programm zu veranstalten, das den Gedanken des Festivals in die Stadt trägt. Zudem werden wir ein Begegnungscafé einrichten, in dem die eigene Geschichte erzählt und gehört werden kann. Aber das Programm ist so vielfältig, dass es den Rahmen dieses Interviews sprengen würde, wenn ich alles hier erzählen würde.

Hast du nicht gerade etwas Wichtiges vergessen, Nora?

—Sie überlegt—

Na, wir gehen auch mit diesem Blog hier online, erstmals in der Geschichte des Festivals!

Nora lacht. Das stimmt, wie konnte ich das vergessen, Annette! Möchtest du vielleicht kurz einige Worte zum neuen Blog sagen?

Klar, ich gebe euch gerne unseren Elevator Pitch: Unser Blog soll Expertenwissen zum Thema Geschichte und Zeitgeschehen anschaulich aufbereiten. Und natürlich geben wir auch einen Blick hinter die Kulissen unseres Festivals. Wir tun das natürlich mit einem Augenzwinkern, so wie wir auch das Festival leben.

Zum Abschluss noch eine Frage an dich: Was planst du für den Tag nach deinem ersten Festival, also den 15. November?

Zunächst einmal werde ich mich hoffentlich über ein erfolgreiches Festival freuen, auf das ich bereits am Abend zuvor, also nach unserer letzten Veranstaltung, mit meinem wunderbaren Team angestoßen habe.