17.07.2024

Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte 2024: Vom 01. – 03. November 2024 unter dem Motto »Stadt. Beziehungsweise. Land«

Das internationale Geschichtsfestival in Thüringen mit dem Motto »Stadt. Beziehungsweise. Land« findet vom 01. – 03. November 2024 statt. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

Städte begleiten die menschliche Geschichte seit der Entstehung komplexer Gesellschaften, und zwar in allen Kulturen um den gesamten Globus. Als Zentren von Kultur, Verwaltung und Politik prägen sie sogar das Bild, das wir von der Geschichte haben, entscheidend mit. Dabei kommen sie in aller Regel nicht ohne ihr Umland aus, das die städtische Bevölkerung mindestens bis zu den modernen Verkehrsrevolutionen mit dem Nötigsten versorgen musste, allen voran mit Lebensmitteln. Stadt und Land gehören also zusammen, werden aber oft als sehr unterschiedliche Lebenswelten wahrgenommen. Auf der einen Seite steht das naturverbundene, »einfache« Leben auf dem Land, das oftmals auch als rückständig oder besonders konservativ betrachtet wird, auf der anderen Seite die (technisch und moralisch) »moderne«, umtriebige Stadt, die aber eben auch als »Moloch« oder Sündenpfuhl erscheint. Je nach Blickwinkel und historischer Epoche unterscheiden sich die Wahrnehmungen also sehr stark. Vieles davon sind auch historische Zuschreibungen, die bis heute wirken und die es kritisch und mit wissenschaftlicher Brille zu hinterfragen gilt.

Das Weimarer Rendez-vous 2024 widmet sich der Rolle von Städten und dem Verhältnis von Stadt und Land in der Geschichte. Natürlich hat jede einzelne Stadt ihre Geschichte, die jede einzelne von ihnen auch heute noch in ihrer Architektur, den Straßennamen, Denkmälern und anderen Überbleibseln und »Narben« erzählen kann. Das ist die Geschichte einer jeden Stadt, wie sie in ihrer Chronik oder einem guten Reiseführer geschildert ist. Doch um diese einzelnen Stadt-Geschichten geht es uns im diesjährigen Festival nicht. Es sind vielmehr drei Themenkomplexe auf die wir besonders schauen möchten:

Die Stadt als Lebensform
Stadtgesellschaften sind in aller Regel komplexer als ländliche Gesellschaften. Allein der höhere Grad an Arbeitsteilung bewirkt das Nebeneinander verschiedenster Berufe und ihrer Institutionen. Auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht gibt es eine größere Bandbreite zwischen den ärmsten und den reichsten Bewohnern einer Stadt. Ethnisch, kulturell und religiös waren viele Städte in der Geschichte zwar relativ homogen. Doch gehörte in vielen Fällen und insbesondere bei Handelsstädten auch sehr früh das Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen, Sprachen, Religionen und Konfessionen zum Stadtbild. Gerade dieser Aspekt prägt bis heute das moderne Bild einer im Vergleich zum Land stärker pluralistischen Stadt, auch wenn dieses Nebeneinander unterschiedlicher Gruppen nicht immer reibungs- oder gar gewaltfrei blieb. Zugleich wird die Stadt auch als besonderer Freiheitsraum vorgestellt. Das Individuum könne sich hier in besonderer Freiheit entfalten, ist dafür aber auch im besonderen Maße auf sich gestellt. Während des Mittelalters konnten Leibeigene sogar den Status eines Freien erlangen, wenn sie mehr als ein Jahr unentdeckt in einer Stadt Unterschlupf fanden. Wie gestaltete sich also das Leben der Menschen in der Stadt in vergangenen Jahrhunderten und in verschiedenen Ländern und Kulturen? Wann war es ein Miteinander, wann ein Nebeneinander, wann ein Gegeneinander?

Die Stadt als Herrschaftsraum
Städte – und insbesondere natürlich »Hauptstädte« – waren und sind Zentren politischer Macht und ihrer Repräsentation. Schon allein in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Lebensformen der Stadt, in sozialen Schichten, ihren Vierteln und ihrer Architektur, kommen Herrschaftsverhältnisse und ihr Wandel zum Ausdruck. Politische Macht konzentriert sich auch in Städten sehr oft bei Wenigen, und sie strahlt von städtischen Zentren in das Umland aus. Zugleich überdauert aber gerade in Europa in den Städten die Idee der Republik das lange Zeitalter der Monarchien. Und mit der Republik die Idee eines freien Stadtbürgers mit politischem Mitspracherecht. Auch wenn die Bürgerrechte etwa in den Stadtstaaten der Renaissance sehr exklusiv nach Einkommen und Geschlecht blieben: Die Idee der freien Selbstregierung einer Stadt ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte der Demokratie in Europa. Demokratische Verfahren und Institutionen konnten gerade in Städten früh eingeübt und in der Moderne Stück für Stück um weitere Kreise der Stadtbevölkerung erweitert werden.
Wie verhalten sich in Geschichte und Gegenwart soziale und politische Macht in der Stadt zueinander? Wie entstand die demokratische Stadt und was macht sie heute und in Zukunft aus?

Stadt-Land-Beziehungen
Schließlich schauen wir auch auf das Mit- und Gegeneinander von Stadt und Land. Neben ihrer ökonomischen, infrastrukturellen und kulturellen Verflechtung steht wiederum der Aspekt von Herrschaft und Macht. Polizei und Rechtsprechung, Universität und Schule, Regierung und Ämter: In der Stadt »sitzen« in aller Regel die Institutionen des (modernen) Staates und üben ihren Herrschaftsanspruch auf das Umland aus. Bei ausbleibendem Erfolg dieses Anspruchs gilt das Umland als renitent, und die Mentalitäten der Landbevölkerung folgen ihrem lokalen Eigensinn, nicht dem, was die Stadt vorgibt. Spätestens in der modernen Demokratie teilen Stadt und Land jedoch das gleiche politische System und müssen mit diesen Spannungen auskommen…

Ist das Land wirklich der Ort der Hinterwäldler, die Stadt das Zentrum von Macht und Moderne? Findet man die »große Freiheit« eher in der Stadt oder auf dem Land? All diese und ähnliche Fragen werden wir in zahlreichen Podien und Vorträgen, Filmen und Führungen zur Diskussion stellen. Wir schauen auf alle denkbaren Epochen und auf unterschiedliche Städte und Kulturen. Und wir schauen darauf, was uns diese Stadt-Land-Geschichten über das Entstehen moderner Demokratien sagen können, aber auch zu ihrer Gegenwart und Zukunft. Wie können wir heute – angesichts historischer Erfahrung und Debatten – ein pluralistisches und demokratisches Miteinander gestalten – in Stadt UND Land.

Dr. Andreas Braune
Wissenschaftlicher Leiter Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte