23.09.2021

Interview mit Dr. Nora Hilgert

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Hallo Nora! Du bist seit 1. Januar 2021 Leiterin des Weimarer Rendez-vous. Wie bist du das erste Mal auf das Festival aufmerksam geworden?

Da muss ich mal in meinem Gedächtnis kramen … Ich kenne das Festival eigentlich schon seit dessen Anfängen vor über zehn Jahren. Damals habe ich noch als Geschäftsführerin des Deutschen Historikerverbandes gearbeitet. Der Verband und das Rendez-vous sind eine Kooperation miteinander eingegangen und so wurde ich in den Wissenschaftlichen Beirat des Festivals entsandt. Als ich dieses Jahr die Leitung übernommen habe, waren mir Weimar und das Festival also schon sehr vertraut.

Was spricht dich beim Rendez-vous am meisten an? Was macht es für dich einzigartig?

Als Geschichtswissenschaftlerin lernt man einen anderen Blick auf die Geschichte zu haben, denn das Studium lehrt, Quellen und vergangene Zeiten mit einem festen Methodenrepertoire zu befragen, Zusammenhänge zu begreifen und Tiefenschärfe in die Vergangenheit zu bringen. All das passiert in einem akademischen Umfeld, das zwar den Dialog mit der Gesellschaft sucht, sich aber oft auch selbst genügt (um es mal ganz selbstkritisch zu formulieren). Forschungsergebnisse einem größeren und interessierten Publikum zugänglich und nahbar zu machen, hat sich das Festival seit seinen Anfängen auf die Fahnen geschrieben und das ist es, was es in Deutschland einzigartig macht. Wo sonst haben wir an mehreren Tagen eine Fülle von Podiumsdiskussionen quer durch die Geschichte, die keine wissenschaftliche Fachtagung sind, sondern ein publikumsnahes Programm bilden, das ohne Eintritt von jeder Frau und jedermann angehört werden kann?

Wie kann Geschichtsverständnis zur Demokratieförderung beitragen? Was bedeutet dir persönlich die Geschichtswissenschaft?

Was soll ich sagen? Geschichte ist mein Beruf und ich bin der tiefen Überzeugung, dass das Wissen um die eigene Geschichte – und damit meine ich nicht die eigene Familiengeschichte, sondern unser aller Geschichte – essenziell ist, um unsere Gesellschaft, unser gesamtes Miteinander, aber auch die Zukunft zu gestalten. Ich würde das gerne an einem kleinen Beispiel demonstrieren: in einigen Wochen ist Bundestagswahl und für manch einen wird es vielleicht ganz selbstverständlich scheinen, das Kreuzchen zu setzen und den Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen. Doch es ist mitnichten selbstverständlich, denn unsere Demokratie in Deutschland ist eine sehr junge, die noch nicht einmal ein Jahrhundert zurückreicht.

Geschichte und Demokratie gehen für mich einen gemeinsamen Weg, denn wir können unsere Demokratie nur zukunftsfähig gestalten, wenn wir eben unsere Geschichte kennen, ihre Untiefen, ihre Gräuel, aber auch das, was vergangene Generationen richtig gemacht haben. Aus der Geschichte lernen, heißt sie zu kennen und sie zu reflektieren. Das Rendez-vous ist somit für mich ein essenzieller Teil, Demokratie zu leben, also sich im Dialog zu befinden mit dem ganzen Wissen um unsere eigene Geschichte

Dieser Grundgedanke hat zum ersten Mal in der Geschichte des Rendezvous besondere Förderer auf das Festival aufmerksam werden lassen. Was kannst du uns dazu sagen?

Ja, es ist in der Tat so, dass es uns erstmalig gelungen ist eine gemeinsame Förderung von Bund (in diesem Falle bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien), dem Freistaat Thüringen und der Stadt Weimar einzuwerben. Franka Günther, Gründerin und bis letztes Jahr Leiterin des Festivals, hat hierfür den Weg geebnet, indem sie das Festival zu dem ausgebaut hat, was es jetzt ist. Resultierend aus meiner Grundüberzeugung, dass Geschichte und Demokratie eng miteinander verwoben sind, habe ich mit Unterstützern aus der Stadt Mittel aus den Förderertöpfen »Orte der Demokratiegeschichte« eingeworben. Meine Vision ist es, das Festival zu einem lebendigen Ort der Demokratiegeschichte auszubauen.

»Lebendiger Ort der Demokratiegeschichte« – was heißt das genau?

Demokratiegeschichte verbindet das, was ich oben schon sagte, mit dem Grundgedanken des Dialogs. Über Geschichte als auch Demokratie müssen wir kontinuierlich im Gespräch bleiben, darüber streiten, aber auch im Sinne des Miteinanders einen Konsens finden. Wir dürfen nie stehen bleiben und müssen unsere Demokratie weiterentwickeln, weil sich auch unsere Welt kontinuierlich entwickelt. Und dazu ist es eben wichtig, miteinander zu reden. Der richtige Ort ist für mich das Festival, da hier Historiker:innen, Politolog:innen, Soziolog:innen und viele mehr zusammenkommen, um mit uns über verschiedene Themen zu diskutieren, uns einen internationalen Horizont aufzuzeigen, und vielleicht so manches schiefe Bild gerade rücken. Gleichzeitig dürfen auch wir mit ihnen streiten, ihnen Fragen stellen und von ihrem Wissen profitieren. Ich kann also alle, die das hier lesen, nur dazu ermuntern, vom 12. bis 14. November nach Weimar zu kommen und mit uns das Weimar Rendez-vous mit der Geschichte zu feiern.

Das klingt sehr spannend, in welche Richtung soll es in Zukunft gehen?

Neben dem seit Jahren etablierten Programm aus ca. 20 Podiumsdiskussionen und einem kleinen Filmprogramm sollen neue Programmmodule entstehen. In diesem Jahr werden wir das erste Mal den »Tag der Geschichte« begehen: Ich habe die großen Institutionen der Stadt, wie das Stadtmuseum, das Stadtarchiv, die Klassik-Stiftung, die Gedenkstätte, das Haus der Weimarer Republik, die Stiftung Ettersberg, die EJBW und andere eingeladen, ein gemeinsames Programm zu veranstalten, das den Gedanken des Festivals in die Stadt trägt. Zudem werden wir ein Begegnungscafé einrichten, in dem die eigene Geschichte erzählt und gehört werden kann. Aber das Programm ist so vielfältig, dass es den Rahmen dieses Interviews sprengen würde, wenn ich alles hier erzählen würde.

Hast du nicht gerade etwas Wichtiges vergessen, Nora?

—Sie überlegt—

Na, wir gehen auch mit diesem Blog hier online, erstmals in der Geschichte des Festivals!

Nora lacht. Das stimmt, wie konnte ich das vergessen, Annette! Möchtest du vielleicht kurz einige Worte zum neuen Blog sagen?

Klar, ich gebe euch gerne unseren Elevator Pitch: Unser Blog soll Expertenwissen zum Thema Geschichte und Zeitgeschehen anschaulich aufbereiten. Und natürlich geben wir auch einen Blick hinter die Kulissen unseres Festivals. Wir tun das natürlich mit einem Augenzwinkern, so wie wir auch das Festival leben.

Zum Abschluss noch eine Frage an dich: Was planst du für den Tag nach deinem ersten Festival, also den 15. November?

Zunächst einmal werde ich mich hoffentlich über ein erfolgreiches Festival freuen, auf das ich bereits am Abend zuvor, also nach unserer letzten Veranstaltung, mit meinem wunderbaren Team angestoßen habe.